Die Universität Göttingen hat leichte Sandwichplatten mit einem Kern aus expandiertem Mais entwickelt, die bei gleichen mechanischen Eigenschaften nur halb so schwer wie Spanplatten sind. Holzwerkstoffhersteller könnten die Platten auf bestehenden Anlagen produzieren.
Wer hätte gedacht, dass ein Kino-Snack besondere Talente für den Leichtbau mitbringt? Professor Alireza Kharazipour kam diese Idee schon vor vielen Jahren. In einem Forschungsprojekt haben er und sein Team nun erfolgreich besonders leichte Sandwichplatten mit einem Kern aus Popcorn, also aus expandierten Maiskörnern entwickelt. Damit treffen sie den Nerv der Zeit, denn Leichtbaustrategien sind auch in der Holzwerkstoffindustrie ein wichtiges Thema. Sie helfen, knapper werdende Holz-Ressourcen einzusparen, Transport- und Energiekosten zu senken, und passen zur mobilen Gesellschaft von heute, die häufiger umzieht und sich dafür leichte Möbel wünscht. Zu den leichtesten Holzwerkstoffplatten gehören Sandwichelemente, bei denen zwischen zwei dünnen Deckschichten zum Beispiel ein Schaum- oder Wabenkern liegt.
Im Projekt wendeten die Forscher zwei verschiedene Verfahren an. Beim Einschritt-Verfahren wurden Popcorn für den Kern sowie Holzspäne und Holzfasern für die Deckschicht beleimt, dann jeweils gestreut und in einem Zug zu einer Platte verpresst. Im Zweischritt-Verfahren stellten die Forscher zunächst die Popcornverbundplatte her und beplankten sie erst anschließend mit den Deckschichtmaterialien Sperrholz, Dünn-Faser- und Dünn-Spanplatte, Aluminium und Hochdrucklaminat. Zur Verleimung eignete sich eine 4- bis 8-prozentige Beimischung von harnstoffformaldehydbasierten Harzen oder von Methandiisocyanat am besten.
Eine Prüfung der fertigen Sandwichplatten bezüglich ihrer mechanischen Kennwerte zeigte, dass sie bei deutlich geringerem Gewicht ähnliche Eigenschaften wie herkömmliche Spanplatten haben. So erreichten im Einschritt-Verfahren hergestellte Platten bei nur halb so großer Rohdichte die gleichen Biegeeigenschaften wie die Referenz-Spanplatten. Die im Zweischritt-Verfahren hergestellten und mit Sperrholz bzw. mit Aluminium beschichteten Platten waren sogar deutlich tragfähiger als die Referenz.
„Interessant ist die Fähigkeit des Popcorngranulats, Formaldehyd ab Temperaturen von 70 °C zu binden. Dadurch wird das problematische Gas weder bei der Herstellung noch im Gebrauch freigesetzt“, erklärt Professor Kharazipour. Entwicklungsbedarf sieht er noch bei der Ausrüstung gegen hohe Luftfeuchtigkeit und bei der industriellen Herstellung. „Generell ist der popcornbasierte Plattenwerkstoff sehr attraktiv für Unternehmen, da für die Herstellung keine Maschinen umfangreich umgerüstet oder neu angeschafft werden müssen. Die optimalen Verarbeitungsparameter gilt es aber noch herauszufinden“, so Kharazipour.
Als mögliches Einsatzgebiet für die Platten kommt neben dem Möbelbau theoretisch auch der Dämmbereich in Frage, denn Popcorngranulat hat eine sehr geringe Wärmeleitfähigkeit. Außerdem könnten die Platten für den Automobil-, Schiff- und Messebau interessant sein. Gefragt, ob der stoffliche Einsatz von Popcorn nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelerzeugung stünde, antwortet Kharazipour: „Schon heute gehen beträchtliche Mengen der Körnermaisproduktion in die stoffliche Nutzung. Maisstärke wird insbesondere für Leime und biobasierte Kunststoffe verwendet. Außerdem nutzen wir auch geringwertige Maissortimente wie Bruchmais, die als Lebensmittel nicht in Frage kommen.“
Die Popcorn-Sandwichplatte ist eine Weiterentwicklung. Bereits zwischen 2007 und 2010 entstanden in einem Vorläuferprojekt der Universität Göttingen erste Verbundplatten aus Holzspänen und Maisgranulat. Diese vermarktet die Firma Pfleiderer heute erfolgreich unter dem Markennamen „BalanceBoard“, insbesondere an Küchenhersteller. Die neue Platte ist nun noch leichter als das BalanceBoard.
Dass man auch aus dem reinen Popcorngranulat Möbel herstellen kann, hat die Designstudentin Carolin Pertsch gezeigt. Inspiriert durch das Projekt schuf sie im Rahmen ihrer Masterarbeit verschiedene Möbel, denen man schon äußerlich ansieht, dass sie aus dem Kino-Knabberzeug bestehen. Einen TV-Beitrag dazu finden Sie unter www.ndr.de.
Das Vorhaben wurde vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) über den Projektträger Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR) gefördert. Der Abschlussbericht steht auf fnr.de unter dem Förderkennzeichen 22014313 zur Verfügung.
Quelle: Pressemitteilung der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. vom 8. Mai 2018