Mit Förderung und fachlicher Begleitung durch das Projekt KlimaFarming hat der Landwirt Johannes Hoffrogge am nordöstlichen Ortsrand von Spelle im Emsland ein sehr spezielles Agroforstsystem angelegt, das er „Nahrungswald“ nennt. (NDR-Fernsehbericht)
Am 21.11. 2022 wurde begonnen mit dem Erdbohrer Löcher in den leicht lehmigen Sandboden für Bäume und Pfähle zu bohren. Ab dem 25.11 wurden dann die ersten Bäume gepflanzt. Bis zum 23.12. wurden es dann insgesamt 367 Stück in acht Reihen auf ca. 2 ha. Jeder Baum wurde mit drei Holzpaletten vor Wild, Wind und Hitze geschützt. Diese wurden im Gegensatz zur ursprünglichen Planung verwendet, weil die Paletten die Pflanzen besser schützen als ein Zaun aus Draht, weil es nachhaltiger ist und besonders, weil der Großteil der Paletten gespendet worden war und somit die Kosten reduziert werden konnten. Die Arbeiten wurden komplett in Eigenleistung unter der Mithilfe Freiwilliger verrichtet. Auch Baumpatenschaften sollen einen Beitrag zur Finanzierung leisten.
Ungewöhnlich war ist nur der Baumschutz, sondern auch die Liste der gepflanzten Arten: Sie umfasst 35 verschiedene Gattungen, u.a. mit 49 Apfel- und 30 Birnensorten. Hinzu kommen Kirsch- und Mandelbäume, Maulbeeren, Aprikosen, Quitten, Mirabellen, Pfirsiche, Felsenbirne, Feigen, Esskastanien und Wal- und Haselnüsse. Als besondere Exoten wurde Indianerbananen (Pawpaw), Granatäpfel, Japanische Pflaumeneiben, Ölweiden, Rosinenbäume, Szechuanpfeffer, Erdbeerbäume, Mispeln, dreiblättrige Orange und Jujube beigemischt und einige Erlen wurden ohne Schutzmaßnahmen dazwischengesetzt.
Die im Jahr 2022 durchgeführten Pflanzungen sind der Anfang der Entwicklung eines insgesamt 14 ha großen Schlages zu einem Nahrungswald. Die Reihen wurden in Nord-Süd-Richtung angelegt und durch einen stufigen Aufbau wie bei einem Waldrand sollen am Ende kleinere und größere Gehölze wie auch essbare Bodenpflanzen und Ranker stets genug Licht bekommen.
Foto 1: Bei einer Ortsbesichtigung am 7. Juni 2023 wuchs um die von Paletten geschützten Bäume ein üppiges Gras-Kleegemisch, das nicht gemäht werden, sondern durch seine Wasserverdunstung für eine Kühlung der Gesamtfläche im Sommer sorgen sollte.
Eine Kontrolle des Anwuchserfolges erbrachte das Ergebnis, dass insbesondere bei den Feigen große Ausfälle (durch Frost!?) gab. Viele der vermeintlich toten Pflanzen trieben aber später doch noch aus. Auch bei den Maulbeeren gab es viele, die nur spärlich oder in Einzelfällen gar nicht belaubt waren. Beim Rosinenbaum, der Korallen-Ölweide und dem Granatapfel gab es deutliche Ausfälle, vermutlich durch Frost. Die ungeschützten Erlen waren weitestgehend von Fegeschäden betroffen. Die Pflanzung wird in den nächsten Jahren wertvollen Erkenntnisse über die Eignung der verschiedenen Gehölzarten für den Anbau im südlichen Emsland haben.
Die besondere Inspiration für die Anlage eines Nahrungswaldes mit diesen Arten hatte Johannes Hoffrogge durch einen Besuch im Foodforest Ketelbroek (Video) bekommen. Den baut der Niederländer Wouter van Eck seit 19 Jahren nahe der deutschen Grenze (bei Kleve) auf (Konzept und Erfahrungen (PDF)). Er hatte allerdings auf einer ehemaligen Ackerfläche mit der Pflanzung von Pioniergehölzen (Erlen, Weiden, Pappeln) begonnen, um die wertvolleren Obstgehölze dann später in deren Schutz aufwachsen zu lassen. Die Pionierbäume werden aktuell durch Ringeln schonend entnommen um den fruchtragenden Baumarten (z.B. Esskastanien) mehr Licht zukommen zu lassen.
Bild 2: Auch wenn in einem Waldgarten weitgehend natürliche Entwicklungen genutzt werden sollen, sind Pflegeeingriffe wie die Entnahme von Pioniergehölzen (durch Ringeln) notwendig.
Die Grundidee des Nahrungswaldes (Food Forest) ist es, Nahrungsmittel praktisch ohne Bodenbearbeitung, Düngung und Pflanzenschutzmittel in einem möglichst naturnahen waldartigen Ökosystem zu produzieren. Dabei gibt es verschiedene Stockwerke mit hohen und mittleren Bäumen, sowie Sträuchern, Kletter- und Bodenpflanzen. Der Aufbau eines solchen Systems aus Pflanzen, die alle etwas Essbares liefern (Blätter, Triebe, Blüten, Wurzeln, Früchte, Nüsse oder Pilze) ist allerdings langwierig und bedarf erheblicher Kenntnisse der entsprechenden Arten aus der Klimazone, in der man sich befindet. Die hohe Artenvielfalt soll dafür sorgen, dass es keine Totalschäden durch Insekten oder Pilze gibt und möglichst das ganze Jahr über irgendetwas Essbares geerntet werden kann. Der „einzige“ Aufwand besteht bei einem ausgereiften System am Ende darin, die Produkte zu ernten und zu vermarkten. Die Kunden können u.a. Gourmetrestaurants sein, die ihren Gästen neue Geschmackserlebnisse bieten wollen und ihre speziellen Zutaten am besten selbst ernten. Der „Essgarten“ in Harpstedt nutzt die Wertschöpfungsmöglichkeiten selbst, indem er seine Erzeugnisse selbst in Form teurer Gerichte verkauft.
Die Zukunfts-Vision einer dauerhaften Ernährung der Menschheit durch artenreiche, essbare Baumlandschaften wird von Wolpert und Gaede (2023) zusammen mit historischen Beispielen und fachlichen Details im Tagungsband des "9. Forums Agroforstsysteme" auf den Seiten 96-98 des Tagungsbandes dargestellt. Die Website zum "Waldgartenkongress 2024" bietet viele aktuelle Hinweise zur Informationsbeschaffung und Vernetzung!
Weitere (englischsprachige) Fachinformation zur Anlage eines "Food Forest" mit eindruckvollen Videos und Hinweisen auf Weiterbildungsangebote gibt es beim Agroforestry Research Trust. Ein Video des FoodForestNetwork und von Sarsarale e.V. zeigt die Vorteile und Prinzipien dieses Agroforstsystemes auch anhand ausländischer Beispiele. Ergänzend noch ein nettes Video zur Essbarkeit der Blätter vieler heimischer Baumarten.